Mein nächstes Projekt wird wieder ein kleiner 100er, ein technisches und tschechisches Urgestein – der Tatra 147 DC5, ein Muldenkipper (DC steht für das alte tschechische Wort „Dumpcar“), der für mich aussieht, als habe Carl Barks den Wagen entworfen – Entenhausen lässt grüßen (oder Franquin – als großer Bruder zu Gaston´s Fiat?).
Technisch allerdings hat er nichts Komisches an sich, dafür aber sehr viel Marken-DNA, von der wiederum es auch sehr viel zu entdecken gibt. Wen das nicht interessiert, der muss jetzt leiden…
Tatra ist nach (Mercedes-)Benz und Peugeot drittältester Autohersteller der Welt, und, wie ich finde, auch einer der interessantesten. Blickt man auf den Fahrzeugbau allgemein, sind sie nächstes Jahr seit immerhin 170 Jahren ununterbrochen von Kopřivnice aus (auf deutsch: Nesselsdorf, ehemals Sudetenland) im Geschäft, was dazu führte, dass heute offiziell im Stadtwappen dort ein Auto prangt - da kommt also schon etwas an Erfahrung zusammen. 1850 noch von Herrn Schustala als Stellmacherbetrieb für Kutschen gegründet, wurde neben Eisenbahnwaggons ab 1897 auch der „Nesselsdorf Präsident“ gebaut, was die Firma als „Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft“ zur ersten Automanufaktur in Böhmen/Mähren und ganz Österreich-Ungarn machte.
Im selben Jahr wurde Hans Ledwinka eingestellt, ein Österreicher, der 1905 mit gerade 27 Jahren Chefkonstrukteur wurde und 1921 nach 4 Jahren Unterbrechung als technischer Direktor in die Firma zurückkehrte, die sich im selben Jahr in „Tatra“ umbenannte – so zumindest Tatra auf seiner eigenen Homepage. Wikipedia datiert die Umfirmierung je nach Eintrag zwischen 1924 und 1935, sucht es Euch also aus… 1923 entwickelte Ledwinka den Tatra 11, das erste Serienauto auf einem Zentralrohrrahmen, der die Marke bis heute als DAS Konstruktionsmerkmal prägt und auch „Tatra-Prinzip“ genannt wird. Das XXL-Mittelrohr ist dabei das tragende Rückgrat des Autos, an dem alles andere angebaut ist und dient gerade nicht „nur“ als Ummantelung der Kraftübertragung. Außerdem galt seither für die nächsten 92 Jahre (mit einer Handvoll Ausnahmen noch vor dem Krieg), dass Tatras luftgekühlt sind. Ledwinkas Tatras, gerade die Luxusmodelle Tatra 77 und Tatra 87 galten als topmodern, robust und leistungsfähig und haben letztlich auch den GröFaZ so beeindruckt, dass ein dritter Österreicher unter erheblichen Druck geriet, sich von dem Konzept des 1937 auf den Markt gekommenen Tatra 97, ein preis- und strömungsgünstiger PKW für 4 Personen, Heckantrieb mit luftgekühltem 4-Zylinder-Boxer-Motor, Pendelachse und - natürlich - zentralem Rohrrahmen( – naaa?) – sagen wir: “inspirieren“ zu lassen. Ledwinka scheint das nicht sonderlich tragisch gefunden zu haben, aber Tatra erhob 1938 Klage gegen Ferdinand Porsche wegen der Verletzung von insgesamt 10 Patenten zur Luftkühlung. Hitler soll Porsche versprochen haben, sich darum zu kümmern, und noch im selben Jahr wurde das Verfahren mit Annektion der Tschechoslowakei und Einsetzung einer deutschen Verwaltung abgebogen (und der Tatra 97 sofort eingestellt – freie Fahrt dem KdF-Wagen!). Nach dem 2. Weltkrieg wurde VW allerdings tatsächlich noch zur Zahlung von 1 Million DM verurteilt - an Tatra. Ledwinka, der 1948 als Nazi-Kollaborateur in der Tschechoslowakei zu 5 Jahren Haft verurteilt wurde (in der er weiter an der Entwicklung des Tatra 87-Nachfolgers arbeitete, dem Tatra 600 und 660 Tatraplan) und nach seiner Haftentlassung 1950 (ja, ich kann rechnen…) zuerst nach Österreich und dann nach München zog, sah hiervon nichts. 1992 hat ihn das tschechische Verfassungsgericht vollständig rehabilitiert. Eine sehr informative ultrakurz-Biografie hat Tatra ihm 2018 auf seiner Homepagegewidmet.
Schon nach dem Willen der Deutschen sollte Tatra nur noch LKW bauen, und das machten sie gut. Ledwinka entwickelte den Tatra 111, der von 1942 an gebaut wurde und alle Kennzeichen und Vorteile des Tatra-Konzepts aufwies: ein Zentralrohrrahmen, der gerade im Gelände durch seinen großen runden Querschnitt enorm biege- und verwindungssteif war. Allradantrieb. Einzelradaufhängung an Halbachsen, die auch bei enormer Auslenkung und Verschränkung immer noch Bodenkontakt und Traktion boten, wo Starrachsen längst in der Luft hingen. Und ein 12-Zylinder Diesel für alle Klimazonen (natürlich luftgekühlt), der im Krieg z. B. auch im Radpanzer Sd.-Kfz 234 und dem Jagdpanzer „Hetzer“ zum Einsatz kam, nach leichter Modellpflege nach dem Krieg aber noch in einer ganzen Reihe anderen tschechischen LKW eingesetzt wurde (viele davon sind auch als Modell erhältlich), erforderlichenfalls zum 8-Zylinder verkürzt oder zum Reihen-6 Zylinder geteilt. Diese Motoren sind inzwischen Geschichte – Tatra zum Glück nicht.
Der Bau von Tatra-PKW wurde nach dem Krieg auch im Sozialismus nur ungern gesehen, gestoppt, dann, auf Luxusmodelle für Spitzen-Apperatschiks beschränkt, wieder aufgenommen (wann endlich gibt es den Tatra 603-1 als Modell??!) und 1999 mit dem Tatra 700 endgültig beendet - wer also heute wirklich noch in einem PKW mit z.B. luftgekühlten 8 Zylindermotor auf der Hinterachse herumfahren möchte, muss für Liebhaberstücke schon echtes Geld in die Hand nehmen. Die LKW hingegen boomten. Der Tatra 111 wurde bis 1962 weiter gebaut und gilt in Tschechien als das Auto des Wiederaufbaus. Auch in anderern Ländern bewährten sie sich; in den italienischen Marmor-Steinbrüchen etwa wurden sie noch lange als praktisch unzerstörbare Lastesel geschätzt.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs jedoch erlitten Tatra einen schleichenden Niedergang. Die Entwicklung des Tatra 163 Jamal etwa führte zwar noch zum Bau des einzigen luftgekühlten LKW-Motors, der angeblich die Euro 5-Norm einhielt (selbst KHD hat das nicht mehr versucht), aber das Anforderungsprofil (auf 1 Wort gebracht: „Sibirien!“) war wohl doch etwas zu speziell für andere Märkte, und die Abgasnormen verschärften sich weiter. Mittlerweile ist aber DAF eingestiegen und spendet Motoren (Paccar-MX Motoren, die auch in Peterbilt- und Kenworth-Trucks eingebaut werden) und Kabinen, während Tatra als Geländespezialist an seinen Chassis festhält und halten soll. Zur aktuellen Baureihe Phönix, den Vorteilen des Tatra-Konzepts und den Aussichten für die Firma in der Zukunft empfehle ich diesen Artikel hier. Insgesamt können Tatras ihr volles Potential offenbar nur noch im Gelände ausspielen (oder auf dem Weg nach Dakar), weil sie voll beladen für die Straße zu schwer werden; das aktuelle Modell etwa hat als 8 x 8 Version auf der Straße ein zulässiges Gesamtgewicht von 34 t, im Gelände aber bis 50 t und dann als „Überlasttragfähigkeit“ immer noch Reserven. Bei 22 t Eigengewicht sind das 8 t Zuladung für die Straße, aber 28 t im Gelände. Ein interessantes Video dazu sehr Ihr hier.
Bilder, die ich hier einstelle, sind entweder Gemeingut von Wikipedia oder aus dem Buch "Tatra 111" von Jan Neumann, das ich gekauft habe. Oder selbst gemacht...