Panzerschiff NOVGOROD – 1874 – JSC, 1:400

  • Wer es nicht weiß, wird kaum glauben wollen, dass dies ein Schiffsmodell nach einem realen Vorbild ist. Es ist ein Modell des russischen Rundschiffes NOVGOROD. Das Original hat einen interessanten Hintergrund:


    Unter Zar Alexander II erhielt der Vizeadmiral Andrej Alexandrowitsch Popoff (1821 – 98) 1870 den Auftrag zur Entwicklung eines Panzerschiffes zum Küstenschutz. Nach dem Krimkrieg (1852 – 56) sollte das neue Schiff im Schwarzen Meer eingesetzt werden. Zu dieser Zeit propagierte die Royal Navy das kurze und gedrungene Panzerschiff. Die zu panzernden Schiffsseiten und eine kurze Silhouette sollten demnach mit einer starken Armierung kombiniert werden. Popoff hat diese Idee mit seinen Rundschiffen ins Extreme getrieben und in die Praxis geführt.


    Als Novum im Schiffbau entstand nun in St. Petersburg ab 1871 die kreisrunde NOVGOROD. Das Schiff wurde komplett gebaut, vorerst aber nur zusammengesteckt. Es wurde zerlegt um die Teile nach Nicolajew ans Schwarze Meer zu transportieren. Hier wurde das Rundschiff final zusammengesetzt und 1874 in Dienst gestellt.


    Das Rundschiff hatte einen Durchmesser von 30,8 m (am Heck hat der Rumpf einen kleinen Fortsatz, der Rumpf ist nicht ganz kreisrund). Die Verdrängung wird bei einem Tiefgang von 4,1 m mit 2.670 t angegeben. Der geringe Tiefgang machte ein Befahren von Flüssen möglich.


    Der Antrieb erfolgte durch sechs liegenden Verbund-Dampfmaschinen auf 6 Wellen (!) mit einer Gesamtleistung von 3360 PS. Das Schiff lief 6,7 kn was deutlich zu langsam war. Es musste zuviel Wasser vor der runden Bugform verdrängt werden.


    Die Bewaffnung bestand zu Anfang aus zwei 28 cm Kanonen der Firma Krupp in einer gepanzerten, offenen Barbette. Damit wurden zwei der schwersten damals verfügbaren Waffen in die Region gebracht.


    Die Rumpfform hatten den Vorteil, bei ruhiger See eine stabile Geschützplattform zu bieten. Auch bei stärkerem Seegang war das Krängungsverhalten zwar gut, die Kursstabilität war jedoch mangelhaft. Selbst die zwölf (!) Dem Rumpf untergesetzten Kiele konnten daran wenig ändern. Die riesige Decksfläche bot zudem Steilschüssen ein sehr großes Ziel.


    Ursprünglich sollten von den Schiffen zehn Einheiten gebaut werden. Es blieb bei der NOVGOROD, die mit 149 Mann Besatzung fuhr, und dem etwas größeren Schwesterschiff KIEW (später in VITSE ADMIRAL POPOFF) das 1875 fertig wurde.


    Beide Einheiten waren im russisch-türkischen Krieg 1877 – 78 für die Küstenverteidigung im Einsatz. Die geringe Geschwindigkeit der „Popoffkas", wie die Rundschiffe genannt wurden, ließen die deutlich schwächeren türkischen Schiffe allerdings schadlos entkommen.


    Trotz aller Mängel dieses Experiments im Schiffbau besaßen die Schiffe für Russland einen militärischen Wert. Die Einheiten wurden mehrmals umgebaut und umbewaffnet. Die NOVGOROD wurde nach 1903 aus der Flottenliste gestrichen und nach 1912 verschrottet.


    Was ich nicht klären konnte ist die Richtigkeit der Angabe, dass sich die „Popoffkas" beim Schuß in Eigenrotation bewegten. Es gibt dazu sowohl Behauptungen als auch Dementierungen.


    Mein Modell ist aus dem einfachen Bogen von JSC im Maßstab 1:400 entstanden. Die NOVGOROD ist eine Zugabe im Bogen von 2006 zur ASKOLD. Das Modell hat mich schon länger interessiert, der Auslöser zum Modellbau war eine Frage hier im Forum zum Handling der Boote. Durch die Frage war mein Interesse wieder wach und ich legte spontan los.


    Es war eine neue Erfahrung für mich, zum Bau eines Schiffsmodells Scheiben auszuschneiden. Der – wie ich finde – sehr dicke JSC-Karton war eine weitere neue Erfahrung für mich (bisher habe ich Modelle von JSC nur deutlich skaliert gebaut). Auf die Klebelaschen hätte ich besser verzichtet, einzelne Teile sind damit zu dick geworden.


    Der Bogen ist sehr einfach gehalten. Meiner Ansicht nach zeigt JSC den Zustand des Schiffes beim Stapellauf. Anfangs wollte ich nur das Bogenangebot umsetzen. Beim Bauen kamen dann doch weitere Details hinzu. Die Boote, zwei Jollen und zwei kleine Dampfboote, fehlen bei JSC. Ich habe sie selbst konstruiert und beigefügt. Die Lüfter sind von einem HMV-Bogen genommen (JSC sieht hier nur zweidimensionale Lösungen vor). Die Reling ist aus Fliegenbindengarn (mit dem ich auch die Verstagung des Mastes und der Schornsteine gefertigt habe).


    Richtig wäre es gewesen – wenn ich ein historisch korrektes Modell haben wollte – mir Pläne zu besorgen und auf den Maßstab zu bringen um alle Elemente zu überprüfen. So ist mein Modell nur grob originalgetreu. Ich hatte eine Seitenansicht im Maßstab 1:400, habe im Internet Modelle und Fotos verglichen und Kompromisse geschlossen. Als das Modell komplett fertig war, habe ich erst gemerkt, dass JSC die Schornsteine um rund 8 mm zu hoch angelegt hat. Entsprechend ist der Mast in der Barbette auch etwas zu hoch. Abreissen und korrigieren musste dann sein…


    Das Kürzen der Schornsteine und die Ergänzung der Boote würde ich als dringende Ergänzung bzw. Änderung des JSC-Angebots empfehlen, um ein halbwegs realistisches Modell zu bauen.


    Beim Vergleich der unterschiedlichen Modelle im Netz fällt auf, dass sowohl Holzdecks als auch Stahldecks gezeigt werden. Ich vermute, dass nur zu Friedenszeiten ein Holzdeck aufgelegt wurde, damit die Mannschaften nicht auf dem heißen Stahldeck laufen mussten. Im Krieg könnte das Holz aus Brandgefahr und zur Verminderung von umherfliegenden Holzsplittern bei Treffern entfernt worden sein.


    Die Frage zum Bootshandling konnte ich durch einen Anruf bei einem renommierten Modellbauer klären. Es gibt weder Davits noch einen Ladebaum. Es wurden v-förmige Stahlkonstruktionen aufgebaut und mit Taljen und viel Muskelkraft die schweren Boote zu Wasser gelassen.


     


     


     


     


     



    Wie immer zeigen die Fotos Macken, die das bloße Auge nicht sieht... ;(


    Viele Grüße,

    Klaus

    »Das muss das Boot ab können!»

    Edited once, last by Klaus ().

  • Danke für den Zuspruch in Wort und Daumen :)


    Die Ungeduld ist das Gift des Modellbauers... Ich wollte gestern Abend meine NOVGOROD unbedingt hier präsentieren und habe das Modell schnell mit dem Handy aus der Hand fotografiert. Ich habe nun neue Fotos mit besserem Licht, einem Stativ und meiner Systemkamera geschossen. Die Fotos im ersten Beitrag habe ich daher gegen die besseren, aktuellen Schüsse ausgetauscht ^^

    »Das muss das Boot ab können!»

  • Hallo erstmal,

    da ist einer ja superschnell vom Gedanken zum Modell gekommen und noch dazu so schön. Hut ab.


    Gruß

    Michel

    Ich betrachte auch einen siegreichen Krieg an sich immer als Übel, welches die Staatskunst den Völkern zu ersparen bemüht sein muß. (Otto von Bismarck)

  • Ja, Michel... :D


    Deine Frage war der Auslöser. Ich habe schöne Abende mit dem Modellbau verbracht. Meist baue ich nach Plan, aber mal nach Bogen zu bauen hat auch Spaß gemacht.


    Ich bin gespannt auf Dein Rundschiff!


    Klaus

    »Das muss das Boot ab können!»

  • Hallo Klaus,


    Ich bin gespannt auf Dein Rundschiff!

    das wird noch ein klein Weilchen dauern.


    Gruß

    Michel

    Ich betrachte auch einen siegreichen Krieg an sich immer als Übel, welches die Staatskunst den Völkern zu ersparen bemüht sein muß. (Otto von Bismarck)

  • Die Beschäftigung mit den Rundschiffen ging weiter. Je mehr ich mein Modell ansah und nochmal die vorhandenen Quellen studierte, desto unzufriedener wurde ich mit meinem Werk :( .


    Kurz habe ich überlegt, ein komplett neues Modell nach Bauplan zu bauen. Dann habe ich habe den Sonntagnachmittag genutzt, um mit dem vorhandenen Modell eine neue – Wortwitz! – Runde zu drehen.


    Die Schornsteine sind nun komplett neu gekommen (ohne die sichtbaren Klebelaschen im inneren). Ich hatte Fotokopien des JSC-Bogens, die ich auf dünnen Karton geklebt habe. Natürlich habe ich die erwähnte Kürzung der Höhe vorgenommen.


    Die Lüfter neben den Innenseiten der Schornsteine habe ich in der Höhe angeglichen. Die Köpfe sind nun auf einer Höhe mit den Lüftern die an den Schornsteinaussenseiten stehen.


    Besonders sind bei den Popoffkas die breiten Ränder zwischen Reling und Bordwandkante. Auf den Rändern sind auf Originalfotos breite Platten zu sehen. Welche Funktion die Platten haben, weiß ich nicht. Kennt jemand die Antwort?


    Den Rand mit den Platten habe ich nun auch noch nachgetragen. Natürlich musste ich für die Maßnahme die Fadenreling abreissen und eine neue Reling bauen. Aber auch die neue Reling ist sauberer als die vorherige geraten. Insofern bin ich jetzt – hoffentlich ;) – zufrieden.


     


     


     


     

    »Das muss das Boot ab können!»

    Edited once, last by Klaus: ... Rechtschreibung... ().

  • Moin Klaus

    Bei Deiner Fadenreling muss ich meine Meinung über diese Art von Reling überdenken.

    Denn die Reling ist klasse geworden. :thumbsup:

    Grüße von der Ostseeküste,

    Thomas

  • Grüß Dich, Klaus!


    Ganz klar ist mir der Rand nicht, aber so halb:

    Bei der Novgorod bildet der Gürtelpanzer nicht - wie man es von den meisten Panzerschiffen gewöhnt ist - die Bordwand sondern beginnt erst vielleicht einen halben Meter binnenbords (c.f. https://miniflot.ru/plans/BRON/Novgorod.php). Der Rand dürfte der Bereich von der Bordkante bis zum Panzerdeck sein.


    Auf der einen Zeichnung sieht es eher so aus, als läge das Panzerdeck auf dem Gürtelpanzer auf. Wenn dem so war, könnten die Platten dafür gedacht gewesen sein, zu verhindern, daß ein unglücklicher Treffer das Panzerdeck aufbiegt und zwischen Gürtel- und Deckspanzer ungehindert ins Schiff eindringt. Aber das ist jetzt wüste Spekulation...

  • Hallo erstmal,


    eigentlich wollte ich den Bogen einfach mal zwischendurch zusammenbauen. Aber da habe ich ja etwas losgetreten, mit meiner Frage. Das macht ein gutes Forum aus.

    Interessante Bilder. Auf der Vierseitenansicht schaut es in der der Draufsicht so aus als wäre da eine Vorrichtung (Rutsche oder so) für die Boote.

    Jedenfalls wird es nichts mit einfach mal schnell zusammenbauen.

    Der Bogen braucht einiges an Änderungen.


    Gruß


    Michel

    Ich betrachte auch einen siegreichen Krieg an sich immer als Übel, welches die Staatskunst den Völkern zu ersparen bemüht sein muß. (Otto von Bismarck)

  • Moin Michi,


    danke für Deine wüste Spekulation und vor allem für den Link! Das Schnittmodell im Link ist super, ebenso die Zeichnungen.


    In einem der russischen Foren habe ich gelesen, dass die Schiffe eine aufgesetzte Holzbeplankung auf dem Panzer hatten. Das kannte ich bisher nur umgekehrt, dass hinter dem Panzer eine Holzlage angebracht war. Die vordere Holzlage könnte jedenfalls den Rand erklären. Die Platten darauf halten dann vermutlich das Holz und sind rechteckig, um die Kreisform mit zu machen und den Ablauf von überkommenden Wasser zu gewähren. Klingt das sinnvoll?


    Rand und Platten sind hier, beim Modell von Lothar Wischmeyer, gut zu sehen. Das Modell zeigt die NOVGOROD im Ursprungszustand:


    Mitglieder - ihre Schiffe - Russisches Küstenpanzerschiff NOVGOROD - Arbeitskreis historischer Schiffbau e.V.


    Hallo Michel,


    das Pro-Modell zeigt das Schiff nach einem der vielen Umbauten mit den Brückennocks beidseits der Schornsteine und dem verlängerten Laufgang zwischen Steuerstand und Maschinenoberlicht. Ein zentraler Blickfang ist die Barbette mit den Geschützen. Da ist der Bogen sehr sparsam mit der Detailierung. Unter dem von MichiK gepostet Link finden sich Zeichnungen zu den Geschützen. Soweit ich weiß, wurden auf dem Schwesterschiff KIEW die Geschütze auf Knicklafetten gelegt. Auf der NOVGOROD lagen die Kanonen – zumindest anfangs – auf einer Oberlafette. Informationen zu solchen Geschützen und deren Lafettierung gibt es hier:


    Wespe Class


    Als Vollrumpfmodell bietet sich das Schiff extrem an. Mit den sechs Propellern und den zwölf Kielen ist es spektakulär!


    Klaus

    »Das muss das Boot ab können!»

  • Klingt das sinnvoll?

    ¯\_(ツ)_/¯ ...Du bist in der Sache - mindestens - so schlau wie ich!


    Die Zeichnungen halte ich nicht für so aussagekräftig und gesichert, daß ich daraus mehr als ein "es könnte" herleite.

    Die Platten am Rand, allerdings, sind ja photographisch belegt, und aus modellbauerischer Sicht ist das ja mal die Hauptsache, gell ?!

  • Der hier von Sachse gezeigte Bogen von pro-Model passt gut zusammen und lässt sich auch ohne UWS bauen. Es waren aber einige Teile gegen die Maserung des Kartons gedruckt.


     



     



    Ich habe die Novgorod ohne Anspruch auf historische Genauigkeit "out-of-the-box" sozusagen 2004 gebaut.