BREMEN IV (Peter Brandt, HMV) - Neue Schlote für die "German Speed Queen"

  • "German Speed Queens of the Atlantic" ist der Untertitel eines wunderbaren Buchs (von J. Russell Willoughby) über die legendären Schnelldampfer des Norddeutschen Lloyd, die BREMEN und EUROPA; soweit zur Erklärung des Begriffs "Speed Queen"...


    Die Ausgangslage:


    Der eine oder andere Leser dieses Forums wird bemerkt haben, dass ich zur Zeit an dem 1: 250-Modell der BREMEN baue.

    Inzwischen bin ich, mehr oder weniger an der Reihenfolge der Bauteilnummern orientiert, bei den Schornsteinen angekommen. Sie waren vor allem in der ersten, niedrigen Form prägend für das zeitlos schöne, damals geradezu atemberaubend avantgardistische Design der beiden NDL-Schnelldampfer. Man muss nur einmal die Linien der nur 2 Jahre älteren CAP ARCONA zum Vergleich nehmen, um sofort zu erkennen, wie radikal sich die Formensprache von BREMEN und EUROPA hiervon unterschieden hat.


    Piet hat dies mit dem Modell der BREMEN hervorragend eingefangen. Ohne damals nähere Kenntnis von der genauen Technik der Abgasanlage zu haben, war mir allerdings schon recht früh aufgefallen, dass die beiden Schlote des Modells möglicherweise eine sehr vereinfachte Wiedergabe des Originalzustands sind. Dies hat mir schon deswegen keine Ruhe gelassen, weil ja der übliche Blick mehr oder weniger von schräg oben auf ein Schiffsmodell gerichtet wird und auch dabei die mächtigen Schornsteine im Fokus sind...


    So sind die beiden Baugruppen "Schornstein" im Modell umgesetzt:



    Eine waagerechte Abdeckplatte verschließt den Schornstein oben; der eigentliche Schlot ist ein nahezu rundes Rohr (im Modell bei beiden Schornsteinen gleich).

    Möglicherweise hat sich Peter damals unter anderem an dem Großmodell im Deutschen Schifffahrtsmuseum (bzw. im Bremer Überseemuseum) orientiert, das ganz ähnliche Schornsteinoberseiten zeigt.

    Originalphotos, die die BREMEN so von oben zeigen, dass man auf oder halbwegs in die Schornsteine schauen kann, sind offenbar entweder sehr selten oder kaum aufgelöst (man erkennt meist nur einen tropfenförmigen schwarzen Fleck). Dazu kommt noch der Umstand, dass bereits wenige Monate nach der Indienststellung der Schnelldampfer die Schornsteine umgebaut und erhöht worden sind.


    Hier ein Foto aus der Bibliothèque nationale de France vom September 1929,



    das erahnen lässt, dass dort oben mehr war als nur ein Öffnung mit einer waagerechten Abdeckplatte.

    Heute hilft uns das Internet bei der Recherche - ein Mittel, das Peter Brandt seinerzeit noch nicht in dem Maße zur Verfügung hatte; um so bewundernswerter, was er damals konstruiert hat!


    Übrigens wäre die Frage "Schornsteine" bei der "Fastschwester" EUROPA leichter zu beantworten gewesen. Die EUROPA hatte 2 bzw. 3 große Abgasrohre; dies ist auf einigen Fotos gut zu erkennen

    Fertig: MS WILHELM GUSTLOFF, 1:250



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  • Die Umsetzung:


    Schließlich habe ich bei digipeer gesucht, ohne allerdings große Hoffnung zu haben, bei der Recherche nach den Schornsteinen weiterzukommen.

    In diesen Dateien hätte ich aber sofort nachschauen sollen!


    Es sind bei digipeer einige der Originalpläne der DESCHIMAG, also der Bauwerft der BREMEN (die EUROPA wurde bei Blohm & Voss gebaut), hinterlegt.


    So fand ich dann auch Aufsichten der beiden Schornsteine:


    Vorn:


    Achtern:


    Mit solchen Zeichnungen ist ein "normaler" Jurist natürlich erst einmal überfordert... ;)


    Mehrere Freunde haben mir geholfen, diese Zeichnungen anhand auch der wenigen Fotos zu interpretieren, so dass ich mich schließlich getraut habe, dies mehr oder weniger vorbildgerecht (ich hoffe, ich bin nah an das Original herangekommen) zu bauen.


    Begonnen habe ich mit dem Schornstein achtern.

    Ausgangspunkt mussten natürlich die Teile im Modellbogen sein, insbesondere das Spantengerüst des Schornsteins (schließlich wollte ich ja nicht den Schornsteinmantel neu konstruieren - lassen - müssen)


    Grundlage war also erst einmal die Bodenplatte des Schornsteins. Um an die korrekten Maße zu kommen, habe ich einen Ausdruck der digipeer-Datei so verkleinert, dass er mit der Größe des Bauteils überein stimmte (einfacher Dreisatz; so kam ich auf eine Verkleinerung von 33%).


    Das veränderte Spantengerüst.


    Um zu berücksichtigen, dass die Schornsteinplattform 2 unterschiedliche Höhen hat, habe ich den Längsspant verändert und dabei auch die korrekte Form des Schlots berücksichtigt.

    Aus Tonpapier sind dann das eigentliche Abgasrohr (die Grundform ließ sich leicht von der Werftzeichnung abnehmen) und die Leitbleche im Schlot entstanden:




    Auf dem oberen Foto erkennt man auch die unterschiedlich hohen Plattformen.

    Vor dem Schlot befanden sich auf einem Gerüst 3 Laufbleche, die mittels einer Leiter aus dem Schornstein erreicht werden konnten.

    Das Gerüst aus Karton:


    und eingebaut:


    Dann habe ich die restlichen Einzelteile ergänzt



    und alles seidenmatt lackiert:



    Und dann half eigentlich nur noch Beten, dass der Schornsteinmantel passt...

    Fertig: MS WILHELM GUSTLOFF, 1:250



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  • Eine Kopie des Originalbauteils ließ sich mit etwas Nachdruck überstülpen und dies hat mich nicht nur ziemlich beruhigt, sondern auch kleine Anpassungen der neuen Einbauten ermöglicht.



    Schließlich war der achtere Schornstein dann, nach Ergänzung von 6 kleinen Abgasrohren, fertig:






    Ich glaube, dass sich der Umbau gelohnt hat.

    Demnächst geht es mit dem vorderen Schornstein in vergleichbarer Weise weiter.

    Fertig: MS WILHELM GUSTLOFF, 1:250



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  • Moin Helmut,

    Ich glaube, dass sich der Umbau gelohnt hat.

    Demnächst geht es mit dem vorderen Schornstein in vergleichbarer Weise weiter.

    vom Glauben zum Sehen: Es hat sich gelohnt :thumbup:


    Möge dir der vordere Schornstein ebenso gut gelingen.


    Viele Grüße

    Gustav

  • Hallo Helmut,


    die Schornsteine sind mit ihrem Innenleben schon ein Blickfang. Zu erkennen, dass der Baubogen nicht die korrekte Fassung dieses Details anbietet, ist das eine. Das andere ist die Recherche und die Entscheidung zur Ergänzung bzw. dem Umbau. Das ist Dir alles sehr gelungen und passt im Stil perfekt zum Rest des Schornsteins :thumbsup:. Auch die ausführliche Darlegung Deines Vorgehens ist toll geworden.


    Wann dürfen wir denn den Rest vom Modell sehen? Wird es vielleicht einen - punktuellen -Baubericht geben?


    Viele Grüße aus Hamburg,


    Klaus

    »Das muss das Boot ab können!»

  • Klasse geplant, gemacht und geworden!

    Ich habe die 1.250er Modelle allerdings bisher gründlich unterschätzt, wenn ich Deine Bilde so sehe. Mal sehen, was mir da zu FUNNY GIRL und co. so einfällt...

    "Ich glaube nicht, dass der Shitstorm die Weiterentwicklung der Demokratie ist." (Wolfgang Schäuble)

    Wer "Remigration" wählt, wird "Endlösung" ernten.

    Die Würde des Menschen ist unantastbar. (Artikel 1 Grundgesetz)

  • Offensichtlich sind die Schornsteine später noch erhöht worden.

    Dazu kommt noch der Umstand, dass bereits wenige Monate nach der Indienststellung der Schnelldampfer die Schornsteine umgebaut und erhöht worden sind.

    Laut Kludas* wurde die "erste schiffbauliche Veränderung an den Schiffen [...] 1931 nötig, weil sich herausstellte, daß von den zu niedrigen Schornsteinen Rußpartikel und Qualmwolken auf die Promenadendecks niedergingen. Die Verlängerung der Schlote um 5 m brachte die gewünschte Abhilfe." - Sprich: Die Reisenden wurden schwarz vor Ruß und einige vermutlich auch vor Ärger - Preis des grandiosen Designs. Mit den erhöhten Schornsteinen haben beide Schiffe deutlich an Eleganz verloren.


    *Kludas, A. (1988). Die deutschen Schnelldampfer. T. V, "Bremen" und "Europa" - Ausklang einer Ära. Deutsches Schiffahrtsarchiv, 11, 1-177 - Digitalisat hier.

    Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis


    Viele Grüße, Nils

  • Aus einem so super gebauten Schornstein müssen natürlich auch Dampf und Abgase kommen, stärker oder schwächer, mit mehr oder weniger Ruß, je nachdem, was die Heizer gerade für Manöver fahren müssen. Helmut, Du hast Dir doch schon sicherlich Gedanken gemacht, welches Maschinenmanöver Du darstellen willst und wie Du das als Modellbaugroßmeister bewerkstelligen kannst.

    Viele Grüße

    Ulrich

                                                                                   Artikel 1 GG:

    Die Würde des Menschen ist unantastbar.

    Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt



  • Wieso ist schon wieder alles gesagt? Nächstes Mal lese ich Deinen Bericht wieder früher, dann kann ich Deine Leistung auch mal unbeschwert loben. Klasse erweitert und gebaut!


    Beste Grüße aus Hannover, Dirk

    Kun dat nich sien as dat mutt - mutt dat sien as dat kun

  • Nächstes Mal lese ich Deinen Bericht wieder früher, dann kann ich Deine Leistung auch mal unbeschwert loben.

    Du könntest auch gegen den Strom schwimmen und unbeschwert kritisieren ("Helmut, echt jetzt? Das kannst Du besser!" oder "Im Jahrbuch für maritime Schornsteingestaltung (Bd. XXIIV, 1930, S. 784, Fußnote 1.772) hättest Du den klaren Hinweis darauf gefunden, dass die BREMEN gar keine Schornsteine hatte!") :D


    Und wir schauen uns das an loben weiter ungeniert ;)


    @ Helmut - Da ich es oben vergessen hatte: Ich schließe mich der Wertschätzung aller Vorredner einschließlich Dirk vorbehaltlos an: Klasse!

    Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis


    Viele Grüße, Nils

  • Donnerwetter - das ist ja mal eine Resonanz!


    Ich freue mich sehr über all die Daumen und die Kommentare von Euch!

    Herzlichen Dank!


    Um das Kapitel abzuschließen, schreibe ich noch ein paar bebilderte Zeilen zum vorderen Schornstein.


    Obwohl im Bogen im Wesentlichen gleich, waren sie beim Original doch ein wenig unterschiedlich. Der vordere Schlot war (bei etwa gleich großem Schornsteinmantel) deutlich kleiner und hatte im Gegensatz zum achteren Schornstein einen nahezu runden Querschnitt (siehe Bilder im Beitrag #2).

    Die Art der Umsetzung war gleich wie beim erstgebauten Schornstein.


    Daher hier nur die Bilder:


       


    Nach der Lackierung mit Schwarz seidenmatt kam die Anprobe des Mantels und, siehe da, auch diesmal passte es.


    Leichte Probleme ergaben sich dann bei der Montage am Platz, unmittelbar hinter der Brücke.



    Die Neigung nach achtern, die so charakteristisch für die elegante Linie des Schiffes ist, stimmte noch nicht mit der Neigung des achteren Schornsteins überein.

    Mit Nacharbeiten am Mantel und dann einer ausreichenden Beschwerung (was ich eigentlich nur sehr selten mache) passte es schließlich:



    Und so sieht es jetzt aus:


     


    Die Dame im aktuellen Zustand:



    Vielen Dank für Euer großes Interesse an meinem Schornsteinumbau.

    Fertig: MS WILHELM GUSTLOFF, 1:250



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  • Moin, moin Helmut,


    die originalen Schornsteine haben es voll gebracht :thumbup:!

    Der Blick von oben auf die "Piet-Schlote" korrelierte nicht so ganz mit der Detaillierung des Modells überhaupt.......da hast du ein sehr feines Gespür gehabt und das bravourös umgesetzt. Große Klasse!


    Gruß von der Ostsee

    HaJo

    Exercitatio artem parat!

  • Moin Helmut.


    eine sehr schöne Arbeit, die gerade bei diesen besonderen Merkmalen der BREMEN eine erkennbare Verbesserung ausmacht.


    Ich habe da eine Folgefrage: Hatten die verlängerten Schornsteine eigentlich auch die charakteristische "Tropfen"-Form oder waren sie runder? Man kann das auf Bildern schlecht erkennen. Ich meine schon, dass die Form erhalten geblieben und sie nur erhöht worden sind, aber bei manchen Aufnahmen wirken sie runder.

    Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis


    Viele Grüße, Nils

  • Nach allen Fotos, die ich gefunden habe, hatten die Schornsteine der BREMEN auch später, als sie höher waren, diese Tropfenform.

    Ich werde mal versuchen, hierzu Fotos zu finden.

    Fertig: MS WILHELM GUSTLOFF, 1:250



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  • Hallo Helmut,

    wenn Du bei der Katapult Anlage bist, darf ich Dich um einige Detailaufnahmen bitten? Das wäre super!

    Mit besten Grüßen aus Hagen

    Christoph



    "Der Mensch ist nur da in der vollen Bedeutung des Wortes Mensch wo er spielt und er spielt nur da, wo er Mensch ist."
    Friederich Schiller

  • Hallo Helmut,

    wenn Du bei der Katapult Anlage bist, darf ich Dich um einige Detailaufnahmen bitten? Das wäre super!

    Hallo Christoph, das wird sich sicher machen lassen.

    Fertig: MS WILHELM GUSTLOFF, 1:250



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  • Hallo Helmut,

    Danke!

    Mit besten Grüßen aus Hagen

    Christoph



    "Der Mensch ist nur da in der vollen Bedeutung des Wortes Mensch wo er spielt und er spielt nur da, wo er Mensch ist."
    Friederich Schiller

  • Moin Helmut,


    große Begeisterung und eine sehr schöne Umsetzung!!!

    Spätestens seit meinen vier Phoenix-Bauten wurde die Auseinandersetzung und Detaillierung beim Schornsteinbau deutlich intensiviert. Statt Bauplänen konnte ich mich an Luftbildaufnahmen orientieren, das war in diesen Fällen etwas einfacher.

    Jedes Modell erfährt durch eine realistische Gestaltung der Abgas- oder Abdampfanlage eine deutliche Aufwertung.

    Mittlerweile versuche ich es bei jedem Neubau dementsprechend umzusetzen.

    Danke für Deine hervorragende Anleitung und Recherche der BREMEN!


    Gruß, Lars

  • Vielen Dank Euch allen!

    So viel Interesse an dem Original und dem Modell freut mich sehr.


    Hier abschließende Bilder beider Schornsteine:


    Vorn:


     


    Achtern:


     


    Die Antennenausleger bestehen aus Karton.

    Damit sind die Schornsteine bis auf den Antennendraht fertig.


    Fällt Euch etwas auf?


    .

    .

    .


    Genau.

    In den frühen Lebensjahren der BREMEN gab es die Langdrahtantenne zwischen den Schornsteinen nur auf der Backbordseite:


    Vorn:


    Achtern:


    (Beide Fotos Hans Finsler, Jungfernfahrt 1929, museum-digital.de)



    Fertig: MS WILHELM GUSTLOFF, 1:250



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  • Fällt Euch etwas auf?


    Genau.

    In den frühen Lebensjahren der BREMEN gab es die Langdrahtantenne zwischen den Schornsteinen nur auf der Backbordseite:

    :thumbsup: genau das ist mis sofort aufgefallen :thumbsup: :thumbsup:


    Beste Grüße aus Hannover, Dirk

    Kun dat nich sien as dat mutt - mutt dat sien as dat kun