Die wenigsten Schnitte in unserem Kartonmodellbauer-Handwerk werden noch mit der Schere ausgeführt, für die allermeisten Schnitte kommt nur fast noch das 30°-Messer zur Anwendung. Bei sehr kleinen Bauteilen kommt man mit dem Messerschnitt schnell an Grenzen, da parallel zum Schnitt eine Längskraft ausgeübt wird, was besonders bei nicht mehr neuscharfem Werkzeug zu unbeabsichtigten Ausrissen führen kann. Daher verwende ich zunehmend Stanzwerkzeuge, die ich mir selbst aus Messerklingen herstelle. Als Rohmaterial kommen Teppichmesser und etwas dünnere Schabemesser in Betracht, die aufgrund ihrer Sprödigkeit mit der Kombizange einfach in schmale Klingen gebrochen werden können. Diese Bruchstücke klebe ich nach deren sorgfältiger Entfettung im Acetonbad mit Sekundenkleber oder 2-Epoxy-Kleber in ein 10cm langes Rundholz von 8mm Durchmesser ein, dessen Ende zur Aufnahme der Klinge aufgeschlitzt wurde. Nach Aushärtung kann die Klinge mit der Schleifmaschine auf die gewünschte Breite gebracht werden.
Meine Stanzmessersammlung
Diese Stanzmesser sind sehr stabil und können bedarfsweise nachgeschliffen werden. Sie sind allerdings noch recht dick und müssen im Gegensatz zum Scherenschnitt Material verdrängen. Das ist bei der Verwendung einer hauchdünnen Rasierklinge kaum der Fall. Wichtig ist eine etwas weichere Schneidematte als Unterlage, z.B. die graue von Boesner. Die Klinge gleitet fast von selbst durch das Papier.
Verwendete Werkzeuge: Kombizange, Rundzange, Flachzange
Verwendete Klingen: Schabeklinge, Teppichmesserklinge, Rasierklinge
Daher kam ich kürzlich auf die Idee, noch dünneres Material zu verwenden und es lag nahe, dafür ausgediente Rasierklingen zu nehmen, die zwar nicht mehr zur Rasur taugen, aber Papier immer noch hervorragend schneiden. Aus meiner früheren Berufstätigkeit erinnerte ich mich an den Gebrauch von alten Rasierklingen, mittels derer Tuschezeichnungen auf Transparentpapier korrigiert werden konnten, indem die überflüssige trockene Tusche vom Untergrund abgeschabt wurde. Damit die sehr dünne Klinge aufgegriffen werden konnte, bekam sie mittig einen leichten Knick, daher war mir die grundsätzliche Verformbarkeit von Rasierklingen bekannt.
Das Verformen/Biegen geht zwischen den Fingern, Klinge vorher halbieren, so dass man es nur mit einer Schneide zu tun hat. Bei engeren Bögen kann man die Klinge in eine Rundzange einspannen und mit der Fingerspitze gefühlvoll auf die gewünschte Krümmung bringen. Um einen Bruch der Klinge zu vermeiden, Stück für Stück immer enger biegen.
Die Breite wird vorher oder hinterher erzeugt, indem man die Klinge in eine scharfkantige Flachzange spannt und durch mehrmaliges Hin-und-Herbiegen einen Ermüdungsbruch herbeiführt. Eventuelle Grate an der Bruchstelle können mit einem petroleumbenetzten Arkansas-Ölstein entfernt werden.
Rasierklingenstanzmesser
Übrigens eignet sich zum Abstechen der häufig nur papierdick-breiten Schlitze ein weiteres Stanzwerkzeug, nämlich eine 0,4mm-Kanüle aus dem medizinschen Bereich.
Ausblick: Ich werde weiter mit Rasierklingen experimentieren. Mein Traum wäre, aus vier Rasierklingenbruchstücken ein rechteckiges Fensterausstechwerkzeug zu fertigen.
Wenn man sich Stanzschnitte an Karton-Faltschachteln mal genauer ansieht, ist da bestimmt noch einiges möglich.
Natürlich ist eine gewisse Verletzungsgefahr nicht auszuschließen. Da ich jedoch früher mal das ehrbare Handwerk eines Tischlers erlernt habe, ist mir der Umgang mit rasiermesserscharfen Werkzeugen geläufig. Die Schärfe eines Stechbeitels wurde zum Beispiel dadurch getestet, dass man sich ein paar Haare vom Unterarm rasierte.
Also: Nur Mut zum Experiment. Manchmal hat man Glück und es klappt sogar.
Beste Grüße,
Manfred